Ich gehe als Besucher ins Spital. Eine ältere Bekannte von mir, welche an einem fortgeschrittenen Tumor leidet.
Ich war schon lange nicht mehr als Besucher im Spital. Und als Mitarbeiter ist es sogar noch viel länger her. Meine letzte Arbeitsperiode im Spital war in der Psychiatrischen Klinik, 2007.
Es ist Corona-Zeit. Also Maske anziehen und Hände desinfizieren. Und eigentlich dürfte man gar nicht besuchen. Ich habe mit viel Aufwand eine „Spezial-Bewilligung“ für die Besuche erhalten.
Ich staune. So alt bin ich ja nun doch noch nicht. Und doch erstaunt mich die allgegenwärtige Präsenz der Computer. Die Pflegenden und die Ärzte stehen und wandern im Gang, die fahrbaren Tische mit den PC’s drauf vor sich stehend oder her schiebend.
Als ich bei meiner Bekannten im Zimmer bin, erscheint auch bald schon die Pflegefachfrau. Sie misst den Blutdruck sowie die Sauerstoffsättigung im Blut und kontrolliert die Medikamente, die sie ihr geben wird. Es gibt wenig Zeit für Gespräche, dafür umso mehr Kommunikation zwischen der Pflegenden und ihrem PC. Die automatisierte Blutdruckmessung funktioniert nicht, respektive die Übertragung der Messresultate auf den PC. Also versucht sie es mehrmals, bis es endlich klappt.
Mir fällt auf, dass die Erhebung und Kontrolle der Daten inkl. Messwerte und Medikamente sehr viel Zeit in Anspruch nimmt. Augenkontakt besteht kaum. Es mag früher ein wenig komplizierter gewesen sein, mit dem „Kardex“, der papierenen Dokumentation, welche sämtliche Diagnosen, ärztlichen Verordnungen, Messwerte und Verlaufseinträge der Pflegenden beinhalteten. Aber ich bin mir nicht mal dessen so sicher. Es war nicht wirklich komplizierter. Aber natürlich viel schwieriger, wenn man diese Einträge auf irgend eine Art jemand anderem zukommen lassen wollte, sei es innerhalb oder ausserhalb des Spitals. Das stimmt.
Was mir aber in dieser und weiteren Begegnungen mit den Pflegenden und Ärzten am Bett der Kranken auffällt, ist eine gewisse Unpersönlichkeit. Es ist wenig Beziehung da. Natürlich, die Spitalmitarbeiter erfüllen ihre berufliche Pflicht. Aber war das schon immer so? Dass es so unpersönlich und wenig empathisch zu und her ging? Möglicherweise ja. Sehr wahrscheinlich hing und hängt es immer von den einzelnen Personen ab, den Charakteren der Pflegenden, der Ärzte und natürlich auch der Patienten.
Ich bin mir aber fast sicher, dass die „Technisierung“ der Medizin das Unpersönliche fördert. Weil die korrekte Datenerfassung und die elektronische Niederschrift viel Zeit und Aufmerksamkeit einfordern, und sicher nicht weniger als dies früher der Fall war.
Ausserdem spürt man auch den Zeitdruck. Die Spitäler sind auf Effizienz getrimmt. Die Finanzen müssen stimmen, und da kann man mit dem Aufwand für das Personal nicht übertreiben. Sonst gibt es rote Zahlen. Bedeutet aber auch: Weniger Pflegende, die die Kranken betreuen. Und heisst am Schluss halt auch: Weniger Zeit für die Patienten.
Es macht mich auch ein wenig traurig. Weil ich immer das Gefühl hatte, die Beziehung zu den Patienten sei das Wichtige, das Wesentliche. Klar ist fachliche Kompetenz notwendig. Aber gerade diese beginnt damit, hinzuschauen und vor allem zuzuhören. Ich bin immer wieder erstaunt, wie viel Informationen ein Mensch mir geben kann, wenn er die Zeit dazu hat. Und dabei geht es nicht nur um „Fakten“, sondern um die Dinge zwischen den Zeilen. Ängste, Befürchtungen, Sorgen und auch Aspekte wie persönliche Ziele und Freuden werden erwähnt und lassen erst ein ganzes Bild entstehen.
Wenn ich mich selber so im Alltag der Hausarztpraxis beobachte, dann lebe ich das auch nicht immer vor. Gerade wenn die Zeit eng ist und vielleicht noch Notfälle warten, tendiere ich auch zum „Administrieren“, das heisst das „Problem“ soll rasch und effizient gelöst werden. Dabei gehen dann aber auch wesentliche Dinge unter. Und der Mensch, welcher auf der anderen Seite meines Schreibtisches sitzt, bleibt dann eher „der Mann mit der Gichtzehe“ als „Herr Huber“ oder „Frau Meier“. Oder wenn ich selber angespannt und genervt bin, dann kommen auch die eigenen Themen in den Vordergrund und Zuhören wird dann schwieriger. Aber klar ist, dass es mir leichter fällt, mich auf jemanden einzulassen, wenn der Zeitrahmen entspannter ist. Das führt auch zu weniger Anspannung und Genervtsein.
Das heisst nicht, dass manchmal 10 Minuten nicht ausreichen, um etwas zu bereden und zu klären.
Zurück zum Spital: Manchmal hätte ich gerne gesagt: „Hören Sie doch einfach hin, was sie zu sagen hat. Lassen Sie mal die (vermeintliche?) Wichtigkeit der Medikamente im Hintergrund, entspannen Sie sich und setzen Sie sich dazu.“